Chronik

2. Geschichte des KOllEG 88 (Birgit Sonnek)

egenseitige Bildung mit Spaß

Am Anfang stand eine Idee: Gegenseitige Bildung mit Spaß. Als Johannes Wiese in den Ruhestand trat, fand er eine Bildungslandschaft vor, die die gehobenen Ansprüche der neuen Alten kaum berücksichtigte. Seiner Meinung nach wollten geistig mobile und interessierte Ruheständler weder basteln und kochen noch wandern und singen, sondern weiter lernen, ihre Erfahrungen vertiefen und sich auf neue Themen einlassen.

Bildungsbürger, die aus dem Berufsleben ausscheiden, wollen sich nicht der Alterseinsamkeit oder Pensionsdepression aussetzen, überlegte er, sondern ihre Zeit sinnvoll ausfüllen. Sie suchen neue Herausforderungen, wollen ihre Erfahrungen weitergeben und die unterschiedlichen Schwerpunkte ihres Wissens und Könnens austauschen.

Bei einer Marktanalyse stieß der Bildungsexperte Wiese auf so interessante Einrichtungen wie „Seniorenakademien“ oder “Universitäten des dritten Lebensalters“, allerdings weit entfernt in Bielefeld und Heidelberg. Die regionalen Altenkreise orientierten sich vornehmlich an den negativen Aspekten des Alterns und versuchten nur, die körperliche Bewegungsfreiheit so lange wie möglich zu erhalten. Sicher ein wichtiger Faktor, aber die geistigen Ansprüche gebildeter Menschen wurden dabei nicht be-rücksichtigt.

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Es galt, die bestehende Lücke zwischen Altenkreis und Volkshochschule zu schließen, da diese Einrichtungen weder von der Zahl noch von ihrem Programm her ausreichten, die unterschiedlichen Ansprüche wissensdurstiger älterer Menschen zu erfüllen. Die zweckorientierten Kurse der VHS waren eher für Berufstätige oder Studenten geeignet, die schnell zum Ziel kommen wollten.

Der große Vorteil des Alters besteht jedoch darin, sich nicht mehr instrumentalisieren zu müssen und völlig zweckfrei über Gott und die Welt nachdenken zu können. Die Ergebnisse solcher Reflektionen, die sich nicht am Kosten- und Nutzenverhältnis orientieren, können letztlich auch den jüngeren Generationen zu Gute kommen.

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Als Antwort auf das bestehende Defizit gründete Wiese im Jahr 1988 das KOllEG 88, eine Vereinigung, die sich ausdrücklich dem Gedanken der „Bildung auf Gegenseitigkeit“ verpflichtet fühlte. Dabei betrachteten sich die Kollegiaten nie als Konkurrenz zu den bestehenden Einrichtungen wie DRK, AWO oder LAB, sondern als de-ren sinnvolle Ergänzung. Es stellte sich heraus, dass die Rechtsform des eingetragenen Vereins eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit war, vor allem für die Finanzierung.

Auch der Stadt Braunschweig war längst bekannt, dass die Zahl älterer Menschen ständig zunahm und ihre Bildungsvoraussetzungen und Erwartungen anspruchsvoller wurden. Kaffeeklatsch genügte den beweglichen, neugierigen und jung gebliebenen Alten einfach nicht mehr. Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass durch die gestiegene Lebenserwartung, verlängerte Ruhestandsphase und den früheren Berufsausstieg eine sinnvolle Freizeitgestaltung erforderlich wurde, die durch Bildungsangebote gefüllt werden musste.

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Für die Erhaltung von Eigenkompetenz und eines hohen Grades an körperlicher und geistiger Gesundheit sei ein dauerndes körperliches, geistiges und soziales Training notwendig. Bildung übt eine soziale Funktion aus, war das Fazit, und gemeinsames Lernen erhöht die Lebensqualität. Alte Menschen brauchen ebenfalls eine Chance, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen. Deshalb erweiterte die Stadt ihr Kulturangebot für Ältere und unterstützte die Bemühungen vorhandener Bildungsträger, ihre Angebote auch auf die peripheren Stadtteile auszuweiten.

Schon das erste Bildungs- und Freizeitangebot des KOllEG 88 - „Latein für Zeitungsleser“, „Wirtschafts-Einmaleins“, „Stadterkundungen“, „Begegnungen mit der Kunst“ und „Auslandsfahrten“ - war nicht auf die Mitglieder beschränkt, sondern stand auch Gästen zur Verfügung. Bereits 1992 wurde die Zahl von 100 Mitgliedern erreicht. Es gab Überlegungen, den Verein neu zu strukturieren und gesellschaftlich relevante Aufgaben zu übernehmen wie die Bildung einer zentralen Anlauf- und Kontaktstelle (mit Service-Telefon) im Sinne einer Alten-Solidargemeinschaft.

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Zu untergliederten Themenbereichen bildeten sich Arbeits- und Projektgruppen. Zwar sollten Gönner und Sponsoren gefunden werden, doch war eine Bitt- und Antragstel-lermentalität verpönt. Dagegen galt es, das Selbstbewusstsein und die Autonomie des jungen Vereins zu fördern. Das Ziel waren Menschen mit Initiative, Mut, Selbstvertrauen, Tatkraft und Gründergeist. Der Verein rekrutierte seine Mitglieder meist aus der Generation über 50, es kamen aber auch jüngere Menschen zu den Veranstaltungen.

Schnell erweiterte sich das Programm um Gymnastik, Gedächtnistraining, Latein, Schreibwerkstatt, Medienwerkstatt, Malwerkstatt, Gespräche mit Politiker/innen sowie Kontakte mit Jüngeren und Studenten, um Lebenserfahrung und angehäuftes Wissen weiterzugeben und darüber zu diskutieren. Viele Kurse wurden ehrenamtlich betreut. Da die Kursleiter auf Honorare verzichteten, konnten auch kleine Gruppen betreut werden und es musste keine Mindestteilnehmerzahl erreicht werden.

Interessentenlisten wurden verteilt und es stellte sich heraus, dass bei der Vielzahl des Angebots Überschneidungen nicht zu vermeiden waren. Im Interesse der weiblichen Mehrheit wurde die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Braunschweig zur Diskussion eingeladen. Neben der Vermittlung von Wissen wollte das KOllEG 88 auch konkrete Hilfen anbieten, z.B. „Handwerkliche Hilfe für Allleinstehende“, “Fragen des Vertrags- und Mietrechts“ sowie „Erste Begegnung mit Neumitgliedern“.

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Allmählich wurden auch Braunschweigs periphere Wohngebiete einbezogen, als erstes das Dorfgemeinschaftshaus Thune. Es befand sich gleich neben dem Kindergarten, was freudig begrüßt wurde, denn der Verein wollte generationsübergreifend wirken und verstand sich nicht als Getto für ältere Menschen. Es folgten Stöckheim, Siegfriedviertel, Weststadt und Heidberg. Möbel wurden durch die NORD LB gesponsert. Lesestunden, Spiel- und Nachmittagstreffs wurden von den Mitgliedern selbst organisiert.

1993 verfügte das KOllEG 88 über mehrere Computer und bot EDV-Einführungskurse an. Mit 13 Englischgruppen verfügte es über ein breites Spektrum für Begegnungen und Betätigungen. Dabei entstanden auch soziale Bindungen und Freundeskreise, z.B. das Treffen deutscher und ausländischer Frauen. Anlässlich einer Braunschweiger Seniorenwoche zeigte das KOllEG 88 eine Ausstellung unter dem Motto „Alter schützt vor Bildung nicht“. Die Schreibwerkstatt war an der Gestaltung einer Zeitungssonderseite wesentlich beteiligt.

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Der erste Stadtteiltreff im Stadtparkrestaurant erwies sich als Volltreffer. Auch die Fünfjahresfeier wurde ein Erfolg, und das vierte Gespräch mit Politiker/innen fand im Wohnpark am Wall statt. 1994 wurde eine Studienreise nach Schottland unternommen, die großen Anklang fand. Darauf folgten 1995 weitere Reisen nach Paris, Prag und Südengland. Neue Englischkurse entstanden in Schapen und Ölper, und in Thune wurde jetzt auch Französisch angeboten. Zudem gab es Latein in der Innenstadt und die Theatergruppe „Szenenwechsel“.

1996 wurden in Lehndorf ein Englischkurs und „Griechisch für Urlauber“ installiert. Außerdem fanden archäologische Tagesfahrten und eine Studienreise nach Irland statt, es gab Mal- und Singkurse, Sommerfeste, und „KulTouren“. Eine vom Arbeitsamt finanzierte ABM-Kraft unterstützte den Vorstand bei seiner Arbeit. 1997 wurde das „Kulturfrühstück“ eingeführt, bei dem zunächst Mitglieder selbst über interessante Themen referierten, später auch Gastdozenten. Außerdem gab es Stadterkundungen und ein Gesundheitsforum.

1998 meldeten sich 14 Mitglieder zur neuen Arbeitsgruppe „Internet“ und es wurde eine zweite Irland-Reise unternommen. Gefeiert wurde das vom Bildungsministerium initiierte Lernfest sowie das zehnjährige Jubiläum des KOllEG 88. Der März 2000 brachte ein neues Angebot: Aribert Marohn präsentierte seine Philosophie-Debatte erstmalig zum Thema „Die gefährliche Heiterkeit“ von Eco bis Aristoteles. Außerdem gab es eine Studienreise nach Ägypten. Stefan Nagel übernahm den Vorsitz, während Johannes Wiese sich auf die Redaktion des Rundbriefes beschränkte.

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Im Juli 2000 bekam das Kolleg eine eigene Homepage, allerdings noch unter der Rubrik „Familie und Freizeit“ der Stadt Braunschweig. 2001 fand sich ein weiterer Sponsor, nämlich die Volksbank am Elm, die einen Diaprojektor mit Leinwand spendierte. Außerdem wurde eine zweite Fahrt nach England unternommen sowie eine Studienfahrt in die Provence. Ein Kurs über Fototheorie ergänzte das Angebot. 2002 folgte eine Türkei-Reise. Es war die letzte Reise in Kooperation mit der FABL, weitere Reisen sollten in eigener Regie erfolgen.

Im Oktober 2003 feierte das Kolleg sein 15-jähriges Bestehen und unternahm eine Bildungsreise nach Bornholm. 2004 ging es nach Petersburg, 2005 ins Erzgebirge und ins Elsass. 2005 entstand ein neuer Gesprächskreis „Psychologie“ mit Prof. Dr. Wolfgang Kinkel. Außerdem erhielten die Kollegiaten eine eigene Website unter www.kolleg88.de sowie eine eigene E-Mail-Adresse: st.nagel@gmx.net

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2006 folgten Busreisen nach Slowenien und Thüringen sowie eine Schiffsreise zum Nordkap. Die NORD LB Cremlingen spendiert einen Beamer. 2007 ging es in die Masuren, 2008 wieder nach Südengland (Cornwall). Im Juli 2008 fand die 20-Jahr-Feier im Hotel Mercure statt, bei der Vorsitzender Stefan Nagel von einem Abgeordneten der Stadt Braunschweig für die erfolgreiche Weiterführung des Vereins sowie sein Engagement für ältere Menschen gelobt wurde. Auch Heide Steinmann wurde für ihr unermüdliches Wirken gedankt, sie wurde liebevoll als „Seele des Vereins“ bezeichnet. 2009 gab es Busreisen in die Toskana und nach Mecklenburg, 2010 eine Schottlandreise. 2011 ging es in die Bretagne, 2012 nochmals in die Provence.

Zum 25. Jubiläum im Jahr 2013 bekam das KOllEG 88 eine hochkarätige Internetseite kostenlos durch die Fachhochschule Ostfalia, Wolfenbüttel, initiiert durch Birgit Sonnek. Die Dozenten vergaben die Aufgabe als Prüfungsobjekt an die Studenten, so dass wir unter ca. 20 erstklassigen Entwürfen wählen konnten. Außerdem entstanden eine Jubiläumsbroschüre und ein neuer Flyer, ebenfalls durch Birgit Sonnek, sowie ein Imagefilm durch Horst Hilderts (alles zu sehen im Internet unter „Kreativ-Werkstatt“).

Der Film wurde im Fernsehen von tv38 gesendet, Birgit Sonnek und Horst Hilderts wurden von Gerwin Bärecke dazu interviewt. Die Festlichkeiten fanden im Grünen Jäger statt und wurden von Bürgermeisterin Annegret Ihbe eröffnet. Anschließend wurde ein sehr lustiges Theaterstück mit dem Titel „Götter der Antike“ durch Kolleg-Mitglieder dargeboten, für das sie lange geprobt hatten. Weitere Filme folgten u.a. zum 30. Jubiläum und verschiedenen Reisen, ebenfalls von Horst Hilderts.

Im Jahr 2014 begann die interdisziplinäre Wissenschaftsreihe „Materie und Geist“ im Haus der Wissenschaft, konzipiert und organisiert von Birgit Sonnek. Hier trafen sich Kapazitäten aus Geistes- und Naturwissenschaften, bekannt aus Presse und TV, um Erfahrungen auszutauschen und Synergien zu entdecken. In Podiumsdiskussionen wurde versucht, uralte Fragen der Menschheit mit aktuellen Sichtweisen in Einklang zu bringen. Damit wurden junge Studenten ebenso erreicht wie die Senioren aus der Erwachsenenbildung. Veranstalter war das KOllEG 88 in Kooperation mit verschiedenen Instituten der TU Braunschweig, so dass wir keine Saalmiete zu zahlen brauchten.

In den folgenden Jahren entstanden ein Geschichtskurs sowie ein Literaturkreis, der zunächst von Ulrike Voigt geleitet und dann von Eva-Maria Dennhardt sehr erfolgreich weitergeführt wurde. Dennhardt brachte auch unser Wirtschafts-Einmaleins überraschend wieder zu neuer Blüte. Eva Hilderts kümmerte sich um “Kunst und Künstler”, während Birgit Sonnek für den Kulturbrief und den Internetauftritt verantwortlich war.

Sonnek gründete auch einen Philosophischen Lesekreis, in dem ausschließlich Originale gelesen werden, keine Sekundärliteratur. Aribert Marohn übergab seinen Philosophiekreis dem Philosophen Dr. Helmut Blöhbaum, der den gleichen Zuspruch erhielt.

Prof. Kinkel verstarb auf tragische Weise, sein Psychologiekurs wurde von Prof. Dr. Jochen Hinz weitergeführt, der sich auf C.G. Jung spezialisiert hat und damit großen Anklang fand. Blöhbaum und Hinz wurden von Birgit Sonnek vermittelt, während es Stefan Nagel gelang, Prof. Dr. Gerd Biegel als Referenten für Geschichte zu gewinnen.

Stefan Nagel und Heide Steinmann wurden 2017 von Lesern der Braunschweiger Zeitung zu „Braunschweigern des Jahres“ gewählt. Heide Steinmann organisierte wunderschöne Reisen nach Brandenburg – im Zeichen von Fontane -, nach Naumburg, Saale, Unstrut sowie in die Fränkischen Bilderbuchstädte Nürnberg, Bamberg und Pommersfelden.

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